Ein Blick auf das "Jazz"- und Popfest Wien.
Der „Legende“ nach soll es sich ungefähr zugetragen haben: der Waadtländer Jazzfan, Geschäftsmann und Blue Harp-Spieler Claude Nobs reiste Mitte der 60er Jahre nach NYC, wo er feststellten musste, unter welch miesen Bedingungen die Jazzmusiker ihren Lebensunterhalt bestritten. Also schlug er ihnen eine Woche Gratisurlaub samt Flug im Hotel Palace am Ufer des Genfersees, unter der Bedingung ein Konzert zu spielen, vor. Und damit war das Montreux Jazz Festival, das den Jazz europaweit in ein bisher nicht gekanntes breites Blickfeld der Öffentlichkeit rückte, im Jahre 1967 geboren, wobei Nobs bis 2010 dessen künstlerischer Leiter blieb.
Ein zweites Europäisches Festival wurde bereits drei Jahre zuvor, im Jahre 1964 in Berlin von J.E. Berendt, dem Jazz-Journalisten, -Produzenten und Autor gegründet, der dem deutschen Jazz zu einer großen internationaler Aufmerksamkeit verholfen und das Jazzfest Berlin zu einem europäischen Jazz-Zentrum gemacht hat. Das Festival wurde 1972 dem Schweizer Big Band-Leader George Gruntz übergeben, 1995 ging es an den deutschen Posaunisten Albert Mangelsdorff. Das Festival stand immer für das Aufspüren von Neuem und spannendem Alten. 1978 erschien Posthippie und „Musikfreak“ Burkhard Hennen auf der Bildfläche, der das Internationale Jazzfestival Moers, in dem er vor allem unbekannte, junge Musiker aus de USA und aus Europa – deren Weg er dann treu weiter verfolgte - einem immer grösser werdenden Publikum präsentierte und so Moers zu einem der internationalen Mekkas der Avantgarde gemacht hatte, das er bis 2005 leitete.
1984 wurde in Paris das Festival Banlieues Bleues, das sich neuen Strömungen und vor allem dem äußerst facettenreichen französischen und europäischen Jazz verpflichtet fühlt von Jacques Pornon gegründet, dem er bis 2010 vorstand. Ähnliches ließe sich von Armand Meignan (1980, Europa Jazz Festival Le Mans), Philippe Ochem (1985, Jazzdor Strasbourg) oder Roger Fontanel (1987, D’Jazz Nevers Festival) behaupten.
1976 startete das internationale Jazzfestival Willisau (mit Konzerten ab 1966) und präsentierte freiere Jazzmusik, wobei auch hier immer Journalisten aus ganz Europa angereist sind, um die zeitgenössischen Trends nicht zu kommentieren. Das ist nur eine kleine Auswahl von künstlerisch-programmatischen interessanten Festivals in Europa, wobei all diese Festivals etwas gemeinsam hatten/haben: einen charismatischem künstlerischen Leiter mit einer Vision, einer Mission und der Fähigkeit, diese Inhalte auch überzeugend zu kommunizieren!
Das übrigens nach wie vor existierende Moldejazz (NO), 1961 gegründet, dürfte wohl das erste europäische Jazzfestival sein. Und wer einen Blick nach Amerika werfen mag, sei mit den Filmen Jazz on a Summers Day oder High Society (mit Louis Armstrong, Grace Kelly, Frank Sinatra und Bing Crosby) bestens bedient.
So, und jetzt werfen wir mal einen Blick auf das Jazzfest, Wien, das es seit 1991 unter dem selben Intendanten gibt, und all die Jahre durch immer ein Gemischtwarenladen – frei nach dem Prinzip Buy-And-Sell -, ohne jegliche Handschrift oder auch nur den Ansatz irgendeiner Vision oder eines Konzeptes war. Und ohne einen Leiter, der greifbar, zu einem Dialog fähig oder zumindest streitbar wäre. Dieses Festival ist seit Beginn lieblos gemacht, sozusagen ein „Erfüllungsgehilfe“ der großen (sieben?)europäischen/amerikanischen kommerziellen Festivals. Es ist in Wien nie eine Festivalstimmung entstanden, es gab nie Orte der Begegnung mit Sessions wie z.B. beim North Sea-Festival, wo sich Musiker, Journalisten oder Promotoren auf engstem Raum treffen können. Dafür „hagelte“ es Jahr für Jahr wieder Absagen. Es gab nie eine Identität, etwa vergleichbar mit der Viennale oder Impulstanz. Und es ist mit zwei Ausnahmen nie etwas Ernsthaftes für die österreichische Jazzszene getan worden, außer leicht durchschaubaren frisierten Prozentzahlen: 2014 soll die Beteiligung der heimischen Musiker 36% ausgemacht haben? Von der Anzahl her vielleicht schon, aber von der Bedeutung her? Summerstage, Rathausplatzmatineen? Und woher die kolportierten 60’000 Besucher herkommen sollen, ist ja auch nicht wirklich nachvollziehbar. In die Staatsoper gehen 2100 Besucher (6 Konzerte), in den Reigen 500 (2), ins Porgy & Bess 300 (8), ins Jazzland 150 (8) und ins Miles Smiles (1) 50. Das ergäbe max. ca. 17.500 Tickets (so denn auch alles ausverkauft war), der Rest wären dann wohl freie Eintritte (Rathausplatz) oder 2€ Tickets beim Fernwärme Open Air. Im Vergleich dazu: das Porgy & Bess bringt es auf 70-75.000 zahlende Besucher pro Jahr, bei knapp einem Drittel der jährlichen Jazzfestsubvention der Gemeinde. Und zum heurigen Programm gäbe es noch Folgendes anzumerken: die sieben Konzerte in Porgy & Bess waren wirklich top, Juwelen der Jazzgegenwart. Aber – mit einer Ausnahme - eher schlecht als recht besucht; denn das wurde anscheinend werbemäßig im Gemischtwarenladen nicht wirklich kommuniziert, weil nicht „Top Acts“ wie z.B. die Pet Shop Boys, „Jazzformation des Jahres“. Der kurzen Rede langer Sinn: es MUSS sich etwas ändern, was die junge Jazzszene gerade massiv fordert. Ich würde Folgendes vorschlagen: es gibt ab dem nächsten Jahr ein zweites Jazzfestival in Wien (Herbst oder Frühjahr), das die € 300.000.- Subventionen vom Jazzfest Wien bekommt (Das Jazzfest könnte den Ausfall durch Förderungen von Wien Tourismus oder ähnlichen Institutionen kompensieren). Dieses Festival beschränkt sich auf max. 10 Tage hintereinander und findet an einem eingeführten, lebendigen Ort wie z.B. dem MQ statt. Ein dreiköpfiges ehrenamtliches Gremium aus der Branche, wählt die kaufmännische Leitung und den Intendanten laut einer Ausschreibung aus. Am besten sollte der - wenn möglich junge, auf drei Jahre bestellte, jemand von auswärts sein. Als Auflage bei der Programmgestaltung könnte man über Folgendes diskutieren: je ein Drittel der Formationen kommen USA/Europa/Österreich.
So, und jetzt noch kurz zum ebenfalls nicht sehr erfreulichen 60.000 (schon wieder!)-Besucher-Popfest am Karslplatz, einer Minivariante vom Donauinselfest, bei dem es anscheinend hauptsächlich ums „Zudröhnen“ geht. „Musik“ konnte ich bestenfalls irgendwo am Rande ausmachen. Und welcher Sound? Was für eine geniale Idee, eine Bühne zu bauen, vor der es keinen Platz für die Zuschauer gibt! Und was für ein unglaubliches „Programm“: Es lebe der Provinzialismus. Aber gratis muss es/er sein. Und: Wien wird zu Recht als weltweit führende Klassik-, und NICHT als Popmetropole gefeiert. Und daran wird sich durch solche eigenartige Gratisveranstaltungen wie dem Popfest genau nichts ändern. Hoffen wir also inständig, dass sich das allfällige neue Jazzfest nicht in diese Richtung entwickeln wird!
Nicht mal im Ansatz!
Dann bis zum nächsten Mal!
mathias rüegg
ps: den einen Kommentar nahm ich zum Anlass, weiter zu schreiben..:-)
No 3, 20.August
t.b.a.