Vor vier Jahren habe ich mathias rüegg kennengelernt. Er hat an mich geglaubt und ohne Umschweife begannen wir unsere Zusammenarbeit. Für mich bedeutete sie den Anfang einer langen Reise, von der ich weder umkehren noch deren Richtung ändern möchte. Doch ist es für mich an der Zeit diverse Umwege und Stolpersteine zu erklären. Bereits am Beginn unserer Zusammenarbeit wussten mathias und ich sehr genau, was wir in musikalischer Hinsicht wollten, doch im Bezug auf Videos, Fotos oder Covers wussten wir es im Grunde nicht! Vor allem deshalb, weil ich nicht wusste, was ich wollte. In der Musik, bzw. auf der Bühne bin ich in der Lage, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, aber im alltäglichen Leben fällt mir dies sehr viel schwerer. Ohne es zu merken, hatte ich mich von den Meinungen anderer abhängig gemacht, wollte allen gefallen, war durchgehend verwirrt und nicht im Stande, mir darüber klar zu werden, wo und wie ich erscheinen möchte, um damit ein klares Bild von mir als Person zu vermitteln. Seitdem ich denken kann wollte ich Sängerin werden, doch wusste ich einfach nicht welche.
Ich traf mathias 2011 an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Damals hatte ich keine Ahnung, wer er war und was er erreicht hatte, doch möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen, dass ich voller Begeisterung in seiner Vorlesung gesessen bin. Es war kurz bevor ich erfuhr, dass ich für ein Jahr nach Göteborg gehen würde um dort mein Auslandsstudienjahr zu absolvieren. Zu diesem Zeitpunkt war ich verloren - ich suchte ohne Ziel. Ich konnte nicht an mich glauben, wusste nicht was ich wollte und wo und wie ich beginnen sollte. Ich erinnere mich, dass ich mathias um Hilfe gebeten hatte bezüglich eines Arrangements. In diesem Zusammenhang habe ich ihm vorgesungen und rückblickend betrachtet wird mir klar, dass unsere Zusammenarbeit in dem Moment begann, in dem ich seine Wohnung betreten hatte. Diejenigen die mich etwas besser kennen, wissen wie viel sich dadurch für mich verändert hat. Und um eines ganz offiziell festzuhalten: ja, unsere Zusammenarbeit hat mein Leben verändert, und nein, ich wurde nicht gezwungen meine Haare blond zu färben oder mich halbnackt fotografieren zu lassen (ich hab mir das ganz allein selbst überlegt um meine Grenzen auszutesten). Bevor ich meine Zusammenarbeit mit mathias begann, war ich Teil einer Electro Pop Gruppe namens Roh Lex. Wir spielten hauptsächlich in kleineren Nachtclubs oder Bars und ich sammelte erste Bühnenerfahrung. Ich habe mich also eher immer in einer alternativen Pop Szene gesehen. Niemals hätte ich auch nur im Traum daran gedacht, in welcher musikalischen Welt ich mich eines Tages wiederfinden würde. Vielleicht einfach deshalb, weil ich bis dahin nicht wusste, dass sie existiert. Von einem Tag auf den anderen war ich von professionellen Musikern und einer Szene umgeben, die komplett neu für mich war. Das musikalische Handwerk und die kompromisslose Weise das Musikerdasein zu leben haben mich gleichermaßen eingeschüchtert und inspiriert. Mir wurde mit einem Mal klar, dass ich mich in dieser neuen Welt beweisen musste und wollte - vor den Musikern, vor mathias, vor dem Publikum und vor mir selbst. Mir war nicht klar, dass singen zu können nicht automatisch bedeutet zu wissen, welche Sängerin und Musikerin man sein möchte, bzw. ist. Und ich wusste, dass das meine Chance war genau das herauszufinden.
Ich wollte meinen Freunden gefallen, ich wollte meiner Familie gefallen, ich wollte youtube gefallen, ich wollte facebook gefallen, ich wollte den Musikern gefallen, ich wollte dem Publikum gefallen. Es ist so verlockend, sich all diesen Ideen und Erwartungen hinzugeben. Ich konnte einfach nicht zwischen meinen eigenen Erwartungen und denen, die mir von außen auferlegt wurden, unterscheiden. Es ist ein schmaler Grat zwischen der bewussten Wahrnehmung seiner Umwelt und der bewussten Entscheidung, welche der äußeren Einflüsse man zulässt.
Wenn man nicht genau weiß, wie man sich selbst sehen will, können und werden Make up - Artisten einen, in wen auch immer sie sehen wollen, verwandeln. Kurz gesagt: ich war verwirrt. Bei manchen Videos und Fotos überfiel mich ein eigenartiges Gefühl, das ich damals aber nicht interpretieren und artikulieren konnte. Was ich aber von R.M.Rilke, mit dem ich mich auf my poet’s love beschäftigte unterdessen lernen durfte, ist, dass man keinen Prozess erzwingen kann: “Lassen Sie Ihren Urteilen die eigene stille, ungestörte Entwicklung, die wie jeder Fortschritt tief aus innen kommen muss und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann.“
Das alles liegt sehr nah bei dem unklaren Image, das ich zu Beginn angesprochen habe. Die Videos und Fotos, für die mathias und ich uns entschieden hatten, haben Bilder erzeugt, die im Grunde von unserer Musik ablenken, weil es zusammen keinen Sinn ergibt. Es hat einige Zeit gedauert, bis das uns, bzw. mir klar geworden ist. Dabei ist es essentiell zu wissen, wo man sich selbst sieht um den Menschen, die man ansprechen möchte ein Gefühl dafür geben zu können, wem sie zuhören und wen sie live erleben möchten. Um mir selbst die Möglichkeit zu geben gehört zu werden, muss ich mir darüber im Klaren sein, was ich zu sagen haben und wer ich in diesem Moment sein möchte. Und das ist wohl der schwierigste Teil des Ganzen - nicht zuletzt deshalb, weil man sich stetig ändert und entwickelt. Um hoffentlich von meinen Fehlern und Umwegen zu lernen, habe ich mich entschieden, einige Videos und Fotos zu löschen und stattdessen neue hinzuzufügen: Zum einen findet ihr zwei Songs aus unserem aktuellen Album my poet’s love - Seven Pages of Loneliness und All Those Tears I Drank und zum anderen neue Portraitfotos von mir (Videos/Fotos von Ahmet Bahadir Gokce).
Eines noch: Ich werde mathias' Blog ab Oktober für eine Weile übernehmen und euch darüber am laufenden halten, womit ich mich beschäftige, was ich übe, wer mich inspiriert, worüber ich nachdenke, wen ich treffe, was ich lese oder welche Farbe mein aktueller Lieblingsnagellack hat.
Eure Lia Pale
P.S.: für den Fall, dass sich unter den Lesenden ein paar ähnlich verwirrte, suchende Sänger/Innen wie ich befinden, hier ein paar weitere persönliche Ausführungen:
Meine Hände und die Bühne
Diejenigen, die mich schon länger kennen und mich schon vor Jahren live gesehen haben, wissen höchstwahrscheinlich sehr genau, was ich damit meine. Jedesmal, wenn ich aufgetreten bin, verselbstständigten sich meine Hände und ich konnte deren nervöse Bewegungen nicht kontrollieren. Bei Joe Cocker mag das vielleicht Sinn ergeben, bei mir eher weniger. Mein Körper hat so versucht die Angst und Nervosität, die einen auf der Bühne heimsuchen, loszuwerden. Meine fliegenden Arme und Hände waren sozusagen mein persönliches Ablenkungsmanöver um mich selbst dahinter verstecken zu können. Es war ein langer Prozess für mich, meinen Körper auf der Bühne bewusst wahrzunehmen und meine Arme und Hände bewusst zu integrieren. Mich in meinem Körper wohl zu fühlen hat einige Zeit gedauert und ich arbeite nach wie vor daran. Besonders wichtig als Sängerin, da das Instrument unser Körper ist, und zwar vom Haaransatz bis zur kleinen Zehe. Es war für mich sehr schwierig, mir auf der Bühne Zeit und Raum zu nehmen, mich und meine Hände zu beruhigen und meine Ängste sein zu lassen, ohne dass sie mich dabei einengen oder bei meiner Arbeit hindern. Vertrauen und Routine sind dabei die Schlüssel für mich geworden sowie Körperarbeit bei Ismael Ivo. Dazu mehr in meinem imaginären Workshop: what to do with your hands while singing : )
Lia Pale vs Julia Pallanch
In den letzten Jahren habe ich mich hauptsächlich auf die Entwicklung meiner musikalischen, künstlerischen Fähigkeiten konzentriert, einfach auch aus dem Grund, weil ich so viel aufzuholen hatte und noch aufholen möchte. Weil mich die Musik, der ich mich verschrieben habe, auf jeder Ebene fordert. Das hat all meine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und es war mir nicht bewusst, dass ich als Person noch genauso verwirrt war wie zu dem Zeitpunkt, als ich nach Schweden ging. Mich auf der einen Seite zu entwickeln, während die andere stehen blieb, hat mich stark verunsichert und in einen Zwiespalt gebracht. Ich war der Meinung, wenn ich das und das singen kann, wenn ich es schaffe das zu lernen oder jenes Konzert zu geben, dann wird sich mein Leben plötzlich ändern und ich werde mich über Nacht anders fühlen. Mir war nicht klar, dass ich diejenige sein muss, die die Veränderungen von innen heraus machen muss. Es lag ganz allein bei, mir Entscheidungen zu treffen um die gewünschten Veränderungen herbeizuführen. Anders ausgedrückt: es lag an mir, meine Umzugskartons auszuräumen und meine Wohnung einzurichten. Um bei Kräften zu bleiben, müssen die künstlerische und persönliche Entwicklung Hand in Hand gehen, sich gegenseitig unterstützen und inspirieren.Dazu mehr in meinem imaginären Workshop: how to bring your artistic and private life together : )