25-04-2013
Reise ans Ende der «Winterreise» von Peter Rüedi
Sie ist jung, blond, schön, begabt, und ihrer Stimme ist anzuhören, dass ihre bevorzugte Jazzsängerin Billie Holiday ist. Etwas von der «abgefeimten Kindlichkeit» im Timbre der Lady schwingt von Beginn weg in ihren Songs. Bei denen fallen zuerst die fabelhaften changes auf, und dann die ungewöhnlichen lyrics: Von amerikanischen ballads, übersetzen wir die uns im Kopf, bleibt doch meist nur ein süsses Nichts, das wir wie billigen Zuckerersatz gar nicht mehr von der Zunge kriegen. «As a stranger I arrived, as a stranger I shall leave», das klingt doch gleich anders. Klar: Ist ja auch von Wilhelm Müller, sorry: «Will milleR», und den tune schrieb «berT», was zusammen mit dem Pseudonym des Pianisten und Arrangeurs («shoE») «shoEberT» ergibt. «Gone Too Far», diese Folge von zwölf locker und raffiniert hingezirkelten, mit schönen Saxofon- und Pianosoli durchwirkten Songs, ist, wer sagt’s denn, eine Auswahl aus Schuberts «Winterreise». Kann man das? Ausgerechnet diesen Moll gestimmten, von Melancholie bis zu winterstarrer Verzweiflung gespannten Liedzyklus angehen wie, sagen wir: «Body and Soul»? Man kann, wenn man’s kann. Lia Pales musikalischer Direktor «shoE» hat als Mathias Rüegg schon vor zwanzig Jahren fünf Lieder aus der Winterreise überzeugend in ein anderes Idiom übersetzt, damals für einen grösseren orchestralen Verband namens Vienna Art Orchestra. «European Songbook» hiess 1993 eine CD, «inspired by Verdi, Wagner & Schubert».
Das VAO ist nicht mehr. Die real existierenden Verhältnisse haben unseren Mann in Wien seines Instruments beraubt, des Orchesters, uns dafür einen Pianisten geschenkt: kein Ersatz, aber mehr als ein schwacher Trost.
Was diesem Jazz-Trip ans Ende der «Winterreise» jede Frivolität nimmt, uns in der scheinbaren Beiläufigkeit die Devotionalien neu hören lässt (out of Fischer-Dieskau, sozusagen), ist ein eigenes Taktgefühl. Pale/Rüegg (und mit ihnen der wunderbare Harry Sokal) halten genau die Mitte zwischen Respekt und Entspanntheit. Sie beuten den Alten nicht aus. Sie legen ihn uns ans Herz.